Katalanische Astronomen-Tradition: Von mittelalterlichen arabischen Observatorien bis zum modernen Observatorium Fabra in Barcelona
Katalanische Astronomen-Tradition: Von mittelalterlichen arabischen Observatorien bis zum modernen Observatorium Fabra in Barcelona
Astronomie in Katalonien ist kein junges Phänomen. Wer sich die Geschichte genauer anschaut, stößt schnell auf eine erstaunliche Kontinuität: von arabisch geprägten Sternkarten und mathematischen Tafeln im Mittelalter bis hin zu einem Gebäude am Hang des Tibidabo, das seit mehr als 100 Jahren den Himmel über Barcelona beobachtet – das Observatori Fabra. Dazwischen liegen Jahrhunderte voller politischer Umbrüche, technischer Experimente und kleiner, manchmal fast vergessener Geschichten über Menschen, die sich nachts mit Sternen beschäftigt haben.
Arabische Impulse im Mittelalter
Katalonien war ab dem 8. Jahrhundert Teil einer Welt, in der arabische Wissenschaft einen prägenden Einfluss hatte. In Städten wie Tortosa oder Lleida wurden Schriften aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt – darunter Werke von Al-Zarqali (lat. Arzachel), der im 11. Jahrhundert in Toledo lebte. Seine astronomischen Tafeln, die sogenannten „Toledaner Tafeln“, fanden auch in Katalonien Verwendung.
Arabische Gelehrte nutzten in Andalusien und auf der iberischen Halbinsel Instrumente wie das Astrolabium. Dieses präzise Gerät diente nicht nur zum Bestimmen der Uhrzeit oder des Breitengrads, sondern half auch bei der Bestimmung der Gebetsrichtungen. Katalanische Astronomen übernahmen diese Werkzeuge und Methoden, ergänzten sie aber bald durch eigene Berechnungen.
Im 13. Jahrhundert entstand in Barcelona eine wichtige Handschriftensammlung mit astronomischen Texten, die von jüdischen und christlichen Gelehrten weiterbearbeitet wurde. Das klingt trocken, aber man muss sich das vorstellen: kleine Gruppen von Schreibern, die mühsam Zahlenreihen und Sternpositionen notieren – oft bei Kerzenlicht. Fehler waren unvermeidlich, und trotzdem bildeten diese Manuskripte die Grundlage für Navigation und Kalenderrechnung.
Königliche Projekte: Jaume II. und das „Observatorium“ von Mallorca
Einer der frühen Förderer der Astronomie war Jaume II. von Mallorca (1243–1311). Er ließ am Hof Wissenschaftler arbeiten, die sich mit Himmelsbeobachtung beschäftigten. Zwar war das noch kein Observatorium im heutigen Sinn – eher eine lose Gruppe von Mathematikern und Astrologen –, doch für die damalige Zeit war es bemerkenswert.
Interessant ist hier die Rolle von Ramon Llull (1232–1316), einem Universalgelehrten aus Mallorca. Llull war kein Astronom im engeren Sinne, aber er nutzte astronomische Metaphern und Modelle für seine Logiksysteme. Indirekt trug er so zur Verbreitung astronomischen Denkens in Katalonien bei.
Die „Tabulae“ und die katalanische Navigation
Ohne Sterne keine Seefahrt. Das wussten die Händler und Seefahrer aus Barcelona und Girona im 14. und 15. Jahrhundert sehr genau. Astronomische Tafeln – Tabellen mit Angaben über Sternstände und Planetenpositionen – waren ein entscheidendes Werkzeug für lange Reisen.
Besonders bekannt wurde die „Tabulae Magistri“ von Jacob ben Machir (Profiat Tibbon), einem jüdischen Astronomen, der in Montpellier wirkte. Seine Arbeiten zirkulierten auch in Katalonien und halfen, präzisere Navigationskarten zu erstellen.
Die berühmten Katalanischen Weltkarten des 14. Jahrhunderts – etwa der „Atlas Català“ von 1375 – sind ohne astronomisches Wissen nicht denkbar. Man sieht dort nicht nur Küstenlinien und Städte, sondern auch Sternbilder und astrologische Symbole. Für damalige Seeleute war das praktisch: Kosmos und Kompass gehörten zusammen.
Von den Universitäten zum Teleskop
Im 16. Jahrhundert gründete man in Lleida eine der ältesten Universitäten der iberischen Halbinsel. Dort wurden auch mathematische und astronomische Fächer gelehrt.
Das große Umdenken begann allerdings erst mit der Einführung des Fernrohrs. Galileo Galilei nutzte es ab 1609, und seine Entdeckungen verbreiteten sich rasch. Auch in Barcelona kamen früh Exemplare an, meist über Handelswege aus Italien und den Niederlanden.
Man darf sich das nicht wie ein modernes High-Tech-Gerät vorstellen. Die frühen Teleskope waren kurz, hatten einfache Linsen und lieferten unscharfe Bilder. Trotzdem war es ein radikaler Schritt: Zum ersten Mal konnte man die Jupitermonde, die Ringe des Saturn oder die Phasen der Venus selbst sehen – ein Schock für viele Gelehrte, die noch fest an das ptolemäische Weltbild glaubten.
19. Jahrhundert: Industrialisierung und wissenschaftliche Vereine
Barcelona im 19. Jahrhundert war eine boomende Industriestadt. Textilfabriken, Dampfschiffe, Eisenbahnen. Aber auch Wissenschaft spielte eine Rolle, vor allem im Rahmen von Bürgervereinen.
1864 wurde die Reial Acadèmia de Ciències i Arts de Barcelona (RACAB) gegründet, die bis heute existiert. Dort baute man kleine Observatorien auf den Dächern der Stadt. Die Mitglieder tauschten sich über Astronomie aus, hielten Vorträge und schrieben Abhandlungen.
Ein entscheidender Schritt: Man wollte ein „richtiges“ Observatorium. Mit ernsthaften Instrumenten, einem festen Gebäude, nicht nur ein paar Fernrohre auf Balkonen.
Die Gründung des Observatori Fabra (1904)
1904 wurde das Observatori Fabra eingeweiht. Es liegt auf 415 Metern Höhe am Hang des Tibidabo und war ein Gemeinschaftsprojekt der RACAB, der Stadt und privater Geldgeber. Den größten Beitrag leistete der Bankier und Industrielle Camil Fabra i Fontanills – daher der Name.
Das Gebäude wurde vom Architekten Josep Domènech i Estapà entworfen, einem Vertreter des katalanischen Modernisme. Seine Mischung aus Funktionalität und ornamentaler Eleganz macht das Observatorium auch architektonisch interessant.
Herzstück war ein Refraktor-Teleskop mit 38 cm Öffnung, gebaut von Mailhat in Paris. Für die damalige Zeit gehörte es zu den größten Teleskopen Europas. Das Instrument wird übrigens bis heute für öffentliche Beobachtungen eingesetzt.
Forschungsschwerpunkte am Fabra
Von Anfang an hatte das Observatori Fabra drei Kernbereiche: Astronomie, Meteorologie und Seismologie.
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Astronomie: Man konzentrierte sich auf die Beobachtung von Doppelsternen und Kleinplaneten (Asteroiden). Besonders berühmt wurde der Astronom Josep Comas i Solà (1868–1937). Er entdeckte mehr als ein Dutzend Asteroiden, darunter 804 Hispania (1915) – der erste, der von Spanien aus gefunden wurde. 1930 entdeckte er auch die Atmosphäre des Saturnmondes Titan.
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Meteorologie: Das Fabra lieferte kontinuierlich Wetterdaten, die für die Stadt Barcelona wichtig waren.
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Seismologie: Mit einfachen, aber zuverlässigen Seismographen registrierte man Erdbeben.
Heute arbeitet das Observatorium mit internationalen Netzwerken zusammen, etwa bei der Überwachung von erdnahen Asteroiden.
Das Fabra als öffentliche Institution
Ein schönes Detail: Schon früh öffnete das Observatori Fabra seine Türen für Besucher. Seit 1909 gibt es regelmäßig öffentliche Führungen und Beobachtungsabende. Heute kommen jährlich Tausende Menschen – nicht nur aus Barcelona, sondern auch Touristen aus aller Welt.
Besonders beliebt sind die Sommernächte, wenn man zuerst ein Abendessen auf der Terrasse genießt und danach durchs Teleskop blickt. Zugegeben, ein bisschen Event-Charakter hat das schon. Aber gleichzeitig bleibt es Wissenschaft zum Anfassen.
Vergleich mit anderen Observatorien
Natürlich kann das Fabra nicht mit den Riesenteleskopen auf La Palma oder in Chile mithalten. Aber das war nie seine Rolle. Während das Gran Telescopio Canarias mit 10,4 Metern Durchmesser auf den Himmel zielt, ist das Fabra eher ein kulturelles und wissenschaftsgeschichtliches Zentrum.
Seine Stärke liegt in der Kontinuität: Über 120 Jahre ohne Unterbrechung geforscht, beobachtet, gesammelt. Und das mitten in einer Millionenstadt, die sich ringsherum ständig verändert.
Ein langer roter Faden
Von den ersten arabischen Astrolabien über die katalanischen Weltkarten bis zum Fabra-Refraktor spannt sich ein roter Faden. Astronomie war in Katalonien nie nur ein Nischenthema. Sie war Teil von Handel, Bildung, Religion, Stadtentwicklung.
Man kann sogar sagen: Der Blick in den Himmel erzählt viel über den Boden, auf dem man steht. In Katalonien ist dieser Boden wechselhaft gewesen – politisch, kulturell, ökonomisch. Aber die Sterne waren immer da.
FAQ
Wann wurde das Observatori Fabra gegründet?
1904, am Hang des Tibidabo in Barcelona.
Welche Entdeckungen sind besonders wichtig?
Josep Comas i Solà entdeckte mehrere Asteroiden und 1930 die Atmosphäre des Saturnmondes Titan.
Kann man das Observatori Fabra besuchen?
Ja. Es gibt regelmäßige Führungen, öffentliche Beobachtungen und Sommerprogramme mit Abendessen und Himmelsbeobachtung.
Welche Rolle spielten arabische Gelehrte?
Sie brachten Instrumente wie das Astrolabium und mathematische Tafeln nach Katalonien. Diese Texte und Methoden prägten die lokale Astronomie im Mittelalter stark.
Was unterscheidet das Fabra von modernen Großobservatorien?
Seine historische Bedeutung, seine kontinuierliche Arbeit und die Verbindung von Forschung und öffentlicher Vermittlung – nicht die Größe der Teleskope.
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Astronomie Katalonien, Observatori Fabra, Barcelona Wissenschaft, arabische Astronomie, katalanische Geschichte, Sternwarten Spanien, Comas i Solà, Tibidabo, Teleskopgeschichte
Meta-Beschreibung
Von arabischen Astrolabien im Mittelalter bis zum Observatori Fabra in Barcelona: Die Geschichte der Astronomie in Katalonien zeigt, wie Wissenschaft, Seefahrt und Kultur über Jahrhunderte zusammenhängen.
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